Der Zeitstrahl und die Null
Unser heutiges Denken ist vom Mathematikunterricht und dem Zahlenstrahl mit der Null in der Mitte geprägt, den wir dort kennenlernten und z.B. bei der Temperaturmessung verwenden. So meinen wir auch die Zahlen auf einem Zeitstrahl entsprechend deuten zu dürfen, der auch die Zeit vor Christus darstellt. Doch das ist ein Irrtum.
Denn Jahrhunderte lang gab es nur zur Berechnung der Ostertermine der kommenden Jahre durch und für Spezialisten (Comptisten1) diese Zeitrechnung, Ostertafeln genannt. Als Dionysius Exiguus2 eine solche 525 errechnete, wollte er die Jahre nicht mehr nach der damals üblichen Diokletianischen Ära benennen, da der römische Kaiser Diokletian ein großer Christenverfolger war. So entschloss er sich die Jahre ab „Jesu Inkarnation“ zu zählen.
Erst durch Beda Venerabilis im 8. Jahrhundert3 wurde erstmalig diese Rechnung auf Ereignisse der Geschichte nach Christi bezogen, wobei er aber Ereignisse vor Christi Geburt nach den Jahren seit der Welterschaffung zählte, die nach seinen Berechnungen am 18. März 3952 v. Chr. stattgefunden hatte und nur in einem Fall die Zeit der Jahre bis zu Christi Geburt nannte.4
Er nutze also zwei Zeitstreifen, einmal den seit der Welterschaffung und einen zweiten, später einsetzenden, parallel verlaufenden seit Christi Geburt.
Wir heute aber sehen Zeitstreifen vor uns, die die Jahre vor Christi Geburt rückwärts zählen. Dies ist aber erst ab 1474 durch den Kölner Werner Rolevinck üblich geworden. Sein Werk, in dem er dies so darstellte, fand mit eine Auflage von 100.000 Exemplaren eine weite Verbreitung.
Diese Darstellung der Ereignisse vor Christi Geburt lässt uns nun an den Zahlenstrahl im Mathematik-Unterricht denken. Doch das ist ein Irrtum, denn die Null fehlt in der Mitte. Dass sie fehlt, war jedoch kein Irrtum, sondern zeigt, dass es sich eigentlich um zwei Zeitstreifen handelt, die nur aneinandergelegt werden. Wenn also eine Null fehlen sollte, fehlen eigentlich zwei, zu Beginn jedes dieser beiden Zeitstreifen eine.